The Wall Street Journal: Die Ukraine und die Schande Europas

Auf der Linken und Rechten haben vorgebliche Freunde von Kyiw Gründe für ihre Ansicht gefunden, dass Putin doch kein so übler Zeitgenosse sei

The Wall Street Journal – von Ian Birrell – 21. Mai 2014 (Übersetzung)

Es gibt ein wenig Hoffnungsschimmer, dass die Ruhe in Osteuropa wieder einkehrt. Uns wird gesagt, dass die bedrohlichen russischen Streitkräfte an der ukrainischen Grenze zurückgezogen werden, genau zu dem Zeitpunkt, als Hinweise auftauchen, dass Moskau vielleicht doch Geschäfte mit dem Oligarchen machen kann, der allem Anschein nach der nächste Präsident der Ukraine wird. Wir müssen hoffen, dass dies tatsächlich der Fall ist, dass der Konflikt und Gewalt damit beendet ist. Es ist nicht zu früh, das Verhalten der vermeintlichen europäischen Verbündeten Kyiws in dieser beunruhigenden Episode zu reflektieren – oder zu dem Schluss zu kommen, dass ihre Reaktion beschämend war.

Betrachten wir die Fakten: Eine große, unerfahrene Demokratie im größten Land des Kontinents hat sich nach Jahren der Stagnation unter einer obszönen Kleptokratie bemüht sich aufzuschwingen, nur um rücksichtslos von seinem kriegerischen und noch größeren Nachbarn zerstückelt zu werden. Zuerst kam die Invasion der Krim, die mit einem kaum wahrnehmbaren Wimmern des Westens eingenommen wurde, obwohl es sich um die erste solche Annexion in der europäischen Nachkriegsgeschichte handelte, dann die grausame Zerstückelung des wohlhabenden industriellen Kerns des Landes.

Offensichtlich waren diese Veranstaltungen von Moskau choreographiert, getrieben von einem autoritären Regime, das Angst vor einer Welle von Freiheit und dem daraus resultierenden Verlust an Einfluss auf die Länder um Russland herum hat. Für diejenigen von uns, die über die brutale Tötung von Demonstranten in Kyiw im Februar, dann den dreisten Raub der Krim ein paar Wochen später und schließlich über ähnliche Stunts bei einem “spontanen” Aufstand in der Donbass-Region berichtet haben, deuten die Beweise in eine Richtung. Nur die ganz Kurzsichtigen könnten das übersehen.

Aber es ist deprimierend, wie viele Menschen in Europa der parodistischen Propaganda Glauben schenken, die von Russlands Präsident Wladimir Putin in die Welt gepumpt wird, wodurch alle Versuche geschwächt werden, sich auf eine einheitliche Antwort zu einigen. Diese Uneinigkeit gewährleistet, dass auch die glanzlosen von Washington verhängten Sanktionen im Vergleich stark erscheinen, während die Betonung der Meinungsunterschiede alle Träume einer europäischen einheitlichen Linie untergräbt. Der Konflikt in der Ukraine wird oft als ein altmodischer Kampf zwischen den Weltmächten angesehen, während der Kern in der Entschlossenheit der meisten Ukrainer liegt, sich den edelsten Idealen ihres Kontinents anzuschließen.

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