L.R.: Im russisch-ukrainischen Konflikt nennen sich alle gegenseitig Faschisten. Wie soll man das verstehen?
A.U.: „Faschismus“ wird oft einfach als Schimpfwort verwendet. Manchmal verstehen ausgerechnet jene, die dieses Konzept besonders häufig verwenden, am wenigsten dessen Bedeutung. Natürlich gibt es auf beiden Seiten Politiker, deren Äußerungen man tatsächlich auf den Faschismus beziehen kann. Doch sind das nur einzelne Figuren. Der Faschismus ist ein komplizierteres Phänomen als eine unappetitliche Form von Nationalismus. Sein grundsätzlicher Gedanke ist die Neugeburt, Erwachung, Reinigung und Auferstehung der Nation unter radikal antiegalitären Vorzeichen, eine extreme Form von – contra Ernst Nolte – Transzendenz alles vorher Dagewesenen. Keine Restauration, sondern eine allumfassende Palingenese; keine Reaktion, sondern gezielte Aktion. Die faschistische Idee ist sowohl pathologischer als der restaurative Imperialismus Putins, als auch extremer als der radikale ukrainische Befreiungsnationalismus. Weder das eine noch das andere sollte ohne…
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