Uns wird erzählt, dies sei eine geopolitische Auseinandersetzung statt eines Versuchs von gewöhnlichen Ukrainern, den Oligarchen die Kontrolle über ihr Land wegzunehmen
Oliver Bollough – The Guardian – 19. Mai 2014

Eine Gruppe von Maidan-Wachen vor dem Parlamentsgebäude in Kyiw Foto: Gail-Orenstein/Demotix/Corbis
Wer behauptet, die Ukraine-Krise sei ein Kampf zwischen Russland und dem Westen liegt falsch. Das ist ein fauler Trick, der von unwissenden Menschen wiederholt wird, aber er verursacht eine echte Tragödie, über die wir alle besorgt sein sollten.
Die Geschichte der Krise der Ukraine begann nicht erst im Februar mit Wiktor Janukowytschs Flucht, sondern im Jahr 1991 mit der Unabhängigkeit. Wild entschlossen, dem Kommunismus ein Ende zu setzen, verkauften Privatisierer die staatlichen Vermögenswerte so schnell wie sie konnten. Es kümmerte sie nicht, wer was bekam; sie wollte nur, dass es ausschließlich Privateigentum gab. Sie dachten, die neuen Besitzer würden auf ihre Rechte bestehen und damit eine stabile Gesellschaft erschaffen, die von einem Rechtsstaat regiert wird.
Es war der Westen, der diesen Traum zerstört hat. Indem sie ihren Reichtum ins Ausland verschoben – nach Österreich, in die Karibik oder die verschiedenen Steueroasen unter britischer Herrschaft – konnten ukrainische Immobilienbesitzer sich westliche Eigentumsrechte zunutze machen,und gleichzeitig vom Chaos zu Hause profitieren. Das stellte die Berechnungen der Privatisierer auf den Kopf.
Die ukrainischen Industriebranchen schnappten sich Insider, insbesondere die mächtigen Business-Clans in den Städten Donezk und Dnipropetrowsk. Sie kämpften um die Kontrolle der Regierung in Kyiw, aber alle hatten das gleiche grundlegende Interesse: das Chaos zu verewigen. Je länger die Ukraine im Chaos war, desto reicher wurden sie.
Da ging es nicht um Russland gegen den Westen; jeder machte mit. Schauen Sie auf die unnötige von Dmitry Firtasch im Jahr 2004 gegründete Vermittler-Firma, die Gas aus Russland kauft und in der Ukraine verkauft und damit mehr als 600 Millionen Dollar im Jahr macht. RosUkrEnergo war ein West-Ost-Joint-Venture: Die Hälfte gehörte der russischen Gazprom, die anderer Hälfte einer österreichischen Bank. Jeder Dollar, der damit verdient wurde, war ein Dollar weniger für die Ukrainer.
Einige wollen Sie glauben machen, Janukowytsch sei ein demokratischer, pro-russischer Präsident gewesen, der von westlichen Spionen gestürzt wurden – aber er “besaß” seine Paläste und seinen Jagdsitz über das britische Unternehmen Shell, und die Vermögenswerte seines Sohnes waren in den Niederlanden und der Schweiz registriert. Die Ukraine war ein moderner Prometheus, gefesselt an den Boden, während die Geier aller geopolitischen Überzeugungen kameradschaftlich seine Leber pickten.
Die Korruption war obszön. Die Ukraine besitzt Europas zweithöchste HIV-Rate, mit 230.000 mit dem Virus infizierten Ukrainern, jedoch wurde 2012 und 2013 mehr als ein Fünftel des Budgets für anti-retrovirale Medikamente durch manipulierte Auktionen unterschlagen, Anti-Korruptions- Aktivisten schätzen, dass 30% des jährlichen Beschaffungsbudgets gestohlen wurde: das sind 15 Milliarden Dollar im Jahr, die gleiche Summe, die die Ukraine nun vom IWF erbetteln muss. In den drei Jahren von Janukowytschs Herrschaft wurde sein Sohn zum zweitreichsten Mann der Ukraine. Und Janukowytsch inhaftierte Julia Tymoschenko, eine politische Rivalin, die gegen ihn als Präsidenten kandidiert hatte, um zu zeigen, wie stark er war.
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